Interview mit Jana Walter

25.04.2013 18:32

 

 


Jana Walter. Eine immer lächelnde Persönlichkeit, die einen jederzeit aufheitern kann. Es ist egal, ob man sie im Seminar, in der Sprechstunde, am Foyer der Universität, bei diversen Programmen des Instituts in einem Lokal, oder wegen eines Interviews in einem Café trifft, sie hat immer ein Paar gute Worte zu einem.


 

Viele sind sich aber nicht im Klaren darüber, wie sie ihre neue Umgebung, ihre Arbeit als DAAD-Lektorin, sowie das ungarische Hochschulsystem findet. Als „Botinnen“ der NNK hatten wir das Glück, mit ihr ein Interview machen zu können. Wir brauchen es nicht zu sagen, dass sie mit lustigem Gesicht über ihr Heimatland, ihre Lebenserfahrungen, sowie über sich selbst spricht. Ihre Augen verraten nicht einmal einen Anflug von Enttäuschung wegen Ungarn, nur, dass sie sich hier eigentlich recht wohl fühlt.

 

1. Wo und was hast du studiert? Was für einen Job hast du gehabt, bevor du nach Ungarn gekommen bist?

Ich habe in Berlin an allen drei Universitäten Berlin studiert und hatte eine interessante Fachkombination: Südosteuropäische und Osteuropäische Geschichte, Serbistik/Kroatistik sowie Deutsch als Fremdsprache. Südosteuropa ist für mich eine bevorzugte Region in Europa, die ich ganz einzigartig finde. Serbien und Jugoslawien waren immer attraktiv für mich, aber auch Ungarn aufgrund der historischen Hintergründe.
Bevor ich nach Ungarn kam, arbeitete ich in einer Sprachschule. Die Leute, die ich dort unterrichtete, waren vor allem junge Erwachsene zwischen 25 und 35. Die Schwerpunkte waren Deutsch als Fremdsprache aber auch deutsche Geschichte. Ich unterrichtete diese auf allen Niveaus und ich persönlich hatte das alles sehr gerne.

 

2. Wie kam es zu der Gelegenheit, als DAAD-Lektorin an der Uni Debrecen tätig zu sein und welche Aufgaben hast du im Rahmen des DAAD zu erledigen?

Man bewirbt sich einfach. Es gibt eine Jobausschreibung vom DAAD, ich sah diese im Internet und dachte: ja, warum sollte ich das denn nicht machen? Eigentlich wollte ich nach Kroatien, aber das hat dann nicht geklappt. Als zweiten Wunsch habe ich Ungarn angegeben, weil das Einzige, was für mich wichtig war, in Osteuropa zu arbeiten. Dann wurde ich gefragt, ob ich nach Debrecen kommen möchte. Eine Woche lang habe ich überlegt und danach antwortete na ja, warum denn nicht? Ich werde hier noch dieses Semester und noch ein ganzes Schuljahr verbringen. Diese Tätigkeit dauert mindestens zwei und höchstens fünf Jahre. Nach dem zweiten Jahr kann man entscheiden, ob man noch bleiben will oder nicht

Als DAAD-Lektorin bin ich auch für die Beratung der DAAD-Programme verantwortlich, für alle Dinge, die mit einem Studienaufenthalt in Deutschland verbunden sind. Es ist ganz praktisch, ich mache das gerne. Es ist wichtig zu erwähnen, dass ich nicht nur GermanistInnen, sondern allen Leuten der Universität Debrecen helfe, die  diese Möglichkeit nutzen möchten.

 

3. Seit einigen Monaten bist du im Land und hast bereits eine Vorstellung über die Lage an den ungarischen Universitäten. Hast du irgendwelche erhebliche Unterschiede zwischen den deutschen Universitäten und der Uni Debrecen bemerkt?

Zwischen den Universitäten selber  habe ich keine erheblichen Unterschiede bemerkt. Aber zwischen den StudentInnen ja. An Berliner Universitäten muss man eigenverantwortlicher sein, und dort ist nicht alles so vorgeschrieben wie hier.

Unter den StudentInnen sind die Unterschiede schon merklicher, vor allem was das passive Verhalten der ungarischen StudentInnen betrifft. Ich glaube, sie haben eine sehr abwartende Haltung, sitzen nur da, und gucken, was gerade passiert und haben etwas Angst vor der Stunde. Bei dem Fach Biologie zum Beispiel kann es anders sein, da braucht man nicht so aktiv zu sein, aber hier, wo die verbalen Sprachkenntnisse verbessert werden müssten, funktioniert das einfach nicht.

Manche StudentInnen haben schlechte Voraussetzungen und verfügen über schlechte Sprachkenntnisse, was für eine Universität einfach nicht reicht. Es stellt sich die Frage, warum das so ist. Das kann eigentlich mehrere Gründe haben: Vielleicht kommen sie aus einem schlechteren Gymnasium, wo sie im Unterricht nicht so viel oder gar nicht auf Deutsch diskutiert haben. Das macht sich dann bemerkbar. Ein anderes Problem ist, dass die StudentInnen wenig Vorbildung haben. Zu bestimmten Themen haben sie gar keine Meinung, weder auf Ungarisch noch auf Deutsch – das ist sehr überraschend für mich.

Die Erstis, denen ich schriftliche bzw. verbale Kommunikation beibringe, sind alle freundlich, nett, ich habe Spaß mit ihnen. Überdies kann man nicht sagen, dass sie sich schlecht benehmen. Aber ehrlich gesagt, ist es auch nicht leicht für sie, frisch vom Abi plötzlich an die Uni zu kommen.

Prinzipiell unterrichtete ich im Institut für Germanistik sehr gerne, die „Kleinen“ sind immer nett und die Leute des dritten Schuljahrs sind auch ganz-ganz nett und sogar ziemlich aktiv im Seminar.

 

5. In den letzten Monaten wurden sowohl in Debrecen, als auch in anderen Großstädten gegen die ungarischen Hochschulreformen Proteste erhoben. Was ist deine Meinung als Ausländer über die Lage des heutigen Bildungswesens in Ungarn?

Jetzt gibt’s also seit relativ langer Zeit diesen Protest, der, glaube ich, ganz gerechtfertigt ist. Man muss anderen mitteilen, was man meint, also für seine Rechte protestieren. Natürlich finde ich es ganz schlecht, dass es so einen schwierigen Zugang zu den Stipendien gibt und der Staat die Einzelpersonen stark beeinflusst, was den StudentInnen viele Sorgen macht.

Ich weiß, dass LehrerInnen und DozentInnen in Ungarn sehr schlecht bezahlt werden, und deswegen scheint es für die Jugendlichen nicht sehr attraktiv zu sein, als Lehrer zu arbeiten. Für die Gymnasiallehrer lohnt es sich auch nicht, für so wenig Geld zu unterrichten, so ist es kein Wunder, dass viele von ihnen nicht interessiert sind und ihre Stunden nicht so gestalten, wie man es auf einem bestimmten Niveau erwarten könnte.

Doch nicht nur in Ungarn sondern auch in Deutschland hat der Lehrerjob einen schlechten Ruf, besonders in Realschulen. Das Einkommen der LehrerInnen ist nicht so hoch, die Klassen sind sehr groß und sozial wenig gemischt,  so ist es nicht erstaunlich, dass die PISA-Studie in Deutschland meistens nicht so gut abschneidet. Ich glaube, man darf an der Bildung einfach nicht sparen.

 

6. Wie verbringst du deine Arbeitszeit im Institut sowie deine Freizeit in der Stadt Debrecen?

Meistens sitze ich am Computer und recherchiere, aber manchmal gehe ich in die Mensa und versuche, etwas Vegetarisches zu essen, was immer ganz lustig, aber auch schwierig ist.

Ehrlich gesagt, wenn es irgendwas in Debrecen gibt, bin ich da. Ich finde, dass das MODEM ein ganz schönes Museum ist, aber bei einer Veranstaltung oder sowas ist es fast leer. Ich habe schon beobachtet, dass sich die meisten Leute wenig oder gar nicht für Kultur interessieren.

Ab und zu versuche ich doch mal ins Kino zu gehen, aber es gibt leider wenige Filme entweder in Originalsprache oder mit Untertiteln. Ich weiß, dass Debrecen eine kleine Stadt ist, ich will es also natürlich mit Berlin oder mit Budapest nicht vergleichen, aber manchmal könnte doch ein bisschen mehr los sein.

Normalerweise mag ich noch Radfahren, aber im Winter ist es nicht so spannend. Im Frühling werde ich hoffentlich sogar nach Rumänien mit dem Fahrrad fahren. Natürlich habe ich Pläne für die Zukunft, wenn besseres Wetter ist, z. B. in die Slowakei und in die Ukraine zu fahren. Die geographische Lage von Debrecen mag ich besonders, ich finde sie interessant und spannend, weil sich drei Nachbarländer von Ungarn ganz nah zu dieser Region befinden, und tolle Möglichkeiten bieten, also wieso könnte ich mich diesbezüglich hier langweilen?

 

7. Für fast alle Länder gelten sogenannte Klischees, und wo man während eines Auslandsaufenthalts beurteilen kann, ob diese richtig oder falsch sind. Hattest du damals auch Vorurteile gegenüber Debrecen oder gegenüber Ungarn, die du jetzt in Wirklichkeit erfahren kannst?

Vorurteile hatte ich eigentlich nicht. Ich habe sehr gute Freunde in Berlin, die aus  Ungarn kommen und die mir viel Interessantes über dieses Land erzählten. Natürlich kannte ich schon Stereotype über Ungarn, dass die Leute pessimistisch, melancholisch und negativ sind, sowie das ihre Weltanschauung ganz „einzigartig“ sei. Zum Teil habe ich das alles erfahren. Ich glaube schon, dass es bestimmte kulturelle Unterschiede gibt, aber diese sind nicht so stark, also, ich will nicht sagen, dass etwas typisch ungarisch, deutsch oder französisch ist.

 

8. Schon am Anfang des vorigen Semesters haben wir dich einige Worte auf Ungarisch sprechen hören. Wie kommst du mit der ungarischen Sprache im Alltag zurecht? Bist du schon in peinliche Situation geraten, weil du nicht verstanden hast, was dir gesagt wurde?

Mittlerweile kann ich auf Ungarisch Mini-Dialoge führen, das muss ich vor allem im Gemüseladen und am Fahrkartenschalter. Manchmal sind die Leute schlecht gelaunt und reagieren sauer darauf, was ich ihnen zu sagen versuche. Wegen eines Missverständnisses habe ich schon mal Fleisch gekauft, weil ich auf die Verpackung geschriebene Beschreibung natürlich nicht verstanden habe, und die Leute waren nicht fähig, richtig zu erklären, dass es Fleisch enthält.

Es kam auch vor, dass ich eine falsche Bahnkarte gekauft habe. Ich versuchte den Damen am Schalter zu erklären, was ich möchte und wir hatten miteinander ein sehr nettes Gespräch auf Ungarisch geführt, habe aber dann doch die falsche MÁV-Start-Karte bekommen und musste noch einmal eine andere Karte bestellen. Außerdem geht es immer schief, wenn ich falsche Vokabeln benutze, und das passiert ziemlich häufig.

 

9. Es kann schwierig sein, ohne Bekannte ein neues Leben zu führen. Hast du oft Heimweh und Sehnsucht nach deiner Familie und deinen Freunden?

Heimweh ja, aber nicht soooo sehr. Sehnsucht nach bestimmten Personen schon mehr. Mein Freund versucht, häufig nach Debrecen zu kommen. Meine anderen Freunde, die hier sein sollten, vermisse ich sehr, zum Glück kommen aber relativ viele von ihnen mich besuchen. In Debrecen zu leben können sie sich nicht vorstellen, trotzdem finden sie Ungarn im Allgemeinen ganz nett. Meine Eltern kommen auch zu mir, sie freuen sich am meisten.

 

10. Also wie du am Anfang erwähnt hast, wirst du uns auch noch im nächsten Semester unterrichten, worüber wir uns besonders freuen. Aber hast du solche künftige Pläne, in denen Ungarn auch eine Rolle spielt?

Erstmals werde ich definitiv noch anderthalb Jahre in Debrecen verbringen. Was ich später machen werde, weiß noch nicht. Ich habe nicht so richtige Pläne, alles hängt davon ab, wie ich mich fühle, ob ich Abwechslung entweder in der Arbeit oder im Privatleben brauche, usw. Vielleicht wird auch die politische Entwicklung in Ungarn eine Rolle in meiner Entscheidung spielen. Vor einem zunehmenden Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus hätte ich Angst und könnte dann vielleicht nicht bleiben. Zu Besuch kommen werde ich sicherlich, aber ob Ungarn wirklich wichtig wird, kann ich euch noch nicht sagen. Wenn ja, ist es für mich zum Glück keine absolute Notwendigkeit Ungarisch zu lernen, aber ich würde es natürlich gern viel besser sprechen.

Vielen Dank, dass du dir für uns Zeit genommen hast.

 

Kitti Forgó und Emese Bodnár